Porträt des Monats März 2023
- Welche Chancen und Herausforderungen siehst du im algerischen Hochschulsystem?
In Algerien können alle Schüler*innen, die das Lycée mit einem Baccalauréat (vergleichbar mit dem deutschen Abitur) beenden, kostenlos an einer staatlichen Hochschule studieren. Das ermöglicht vielen Student*innen den Zugang zur Universität und führt dazu, dass die Studierendenzahlen (je nach Fach in unterschiedlichem Maße) jedes Jahr steigen. An meiner Universität ist Germanistik beispielsweise sehr beliebt, aber für die Studierendenzahlen gibt es nicht genug Professor*innen, und die Infrastruktur ist auch nicht auf so hohe Zahlen ausgerichtet. Eine andere Schwierigkeit besteht darin, dass fast alle Entscheidungen vom Hochschulministerium getroffen werden.
- Worin liegt für deutsche Hochschulen der Mehrwert, wenn sie mit algerischen Hochschuleinrichtungen kooperieren?
Algerien ist ein starker Partner Deutschlands in der MENA-Region. In verschiedenen Bereichen gibt es staatlich geförderte Initiativen, um die Abhängigkeit der algerischen Wirtschaft von fossilen Energien zu reduzieren und beispielsweise Projekte im Bereich der erneuerbaren Energien zu fördern. Die Hochschulen sind auch in diese Entwicklung eingebunden: In Zusammenarbeit mit der GIZ sind hier beispielsweise Masterstudiengänge im Bereich Abfallwirtschaft und Energieeffizienz entstanden. Kooperationen mit deutschen Hochschulen sind hier sehr nachgefragt und wären eine hervorragende Möglichkeit, um die bestehende wirtschaftliche Zusammenarbeit der Länder auch im Hochschulsektor zu intensivieren.
- Algerien ist bekannt für seine Sprachenvielfalt. Man spricht algerischen Dialekt und Standardarabisch, Berbersprachen, Französisch und immer mehr Menschen sprechen auch gut Englisch. Wie wirkt sich das im akademischen Kontext aus?
Meist findet der Unterricht an den Universitäten auf Arabisch statt. 2019 wurde Englisch als offizielle Verkehrssprache für alle Hochschulen in Algerien festgelegt, seit Beginn des Schuljahres 2022/23 ist der Englischunterricht in den Schulen verpflichtend, auch um sich mehr vom Französischen zu lösen. Ich selbst unterrichte primär auf Deutsch und ergänze wichtige Informationen sowohl auf Englisch als auch Französisch, um alle Studierenden zu erreichen. Die Bemühungen, Englisch in den Hochschulen zu etablieren, dienen auch der besseren Einbindung Algeriens in die internationale Hochschullandschaft.
- Was sind die Themen, die deine Studierenden im Moment besonders beschäftigen?
Die schwierige berufliche Perspektive in Algerien, auch für die Hochschulabsolvent*innen, ist sicherlich ein präsentes Thema. Viele Studierende höherer Jahrgänge kämpfen noch mit den Auswirkungen der pandemiebedingten Einschränkungen. Ich habe auch den Eindruck, dass sich die Studierenden zwischen den Traditionen und Lebensrealitäten ihrer Heimat und der „global“ gedachten Generation, die sich über TikTok, Instagram und Youtube vernetzt, neu verorten muss.